Nelson Mandela in seiner Zelle auf Robben Island, fotografiert von Jürgen Schadeberg
Nelson Mandela in seiner Zelle auf Robben Island, fotografiert von Jürgen Schadeberg
Jürgen Schadeberg: Chronist des Lebensgefühls
Mentor der Fotogeschichte Südafrikas

Die Kraft seiner Bilder war und ist ungebrochen. Kein Fotograf hat die Fotogeschichte Südafrikas stärker geprägt als Jürgen Schadeberg, der im jungen Alter aus Deutschland auswanderte. Er wurde zum Mentor von zwei Generationen schwarzer Fotografen. In Townships und deren Shebeens, Kneipen, war er zuhause. So half er dem schwarzen Südafrika, sich auf seine Wurzeln und seine Würde zu besinnen. Seine Bilder spiegeln Lebensfreude, Widerstandswille gegen die Apartheid.

Schadeberg fing die Atmosphäre jener Jahre ein, für viele noch heute Höhepunkt schwarzer städtischer Kultur. Der junge Berliner war leidenschaftlich, vorurteilslos, listig. Stimmung bewegte ihn, nicht die Tagespolitik. Der Perfektionist mit dem ansteckenden Lachen war als Foto-Reporter des berühmten Drum-Magazins, einer Stimme des Widerstands, dort, wohin sich andere Weiße nicht trauten. Musik, Tanz, Kneipenleben und Frohsinn waren seine Welt, mehr als Polizei, Unterdrückung, Ausbeutung. Soweto war in den 1950ern die Stadt des Jazz und der Freigeister, aber auch rivalisierender Gangsterbanden. Damals fotografierte er Miriam Makeba und Hugh Masekela, als „niemand“ die just Zwanzigjährigen kannte, und dann ein halbes Jahrhundert später wieder – dann waren sie Große des afrikanischen Jazz. Schadeberg übersah Unterdrückung und Elend nie, war auf der Seite der Benachteiligten und Entrechteten. Dafür wurde er geschmäht und mehrfach festgenommen.

Nelson Mandela schaut 1994 in sich gekehrt durch Gitterstäbe aus der Zelle, in der er auf Robben Island vor Kapstadt inhaftiert war. Die Photographer’s Gallery in London wählte dies Foto zu einer Ikone des vergangenen Jahrhunderts. Schadeberg hatte Mandela auch mehr als fünfzig Jahre davor fotografiert in seiner Anwaltskanzlei in Johannesburg, lange bevor dieser zum bewunderten Staatsmann wurde, und 1951 auf dem Kongress des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) in Bloemfontein. Als gefeierter Weltstar vergaß Nelson Mandela seine Wurzeln und seine Loyalität – und damit auch Schadeberg – nicht. Sie trafen sich privat und plauderten über jene „goldene“ Zeit Sophiatowns. Nicht nur seine frühen Mandela -Fotos wurden Teil der ANC-Legende; auch jene anderer Widerständler wie Oliver Tambo, Walter Sisulu, Trevor Huddleston und Ruth First. Immer wieder werden seine Fotos abgebildet von der Defiance campaign 1952 – den ersten landesweit organisierten gewaltfreien Aktionen gegen die Apartheid – vom Hochverratsprozess 1958 und von den Massenbeisetzungen nach dem Sharpeville Massaker 1960. Schadebergs Interesse ging über Südafrika hinaus: Als Anhalter und mit Bussen fuhr er 1973 durch Senegal, Kamerun, Ghana, Ruanda und fotografierte.

Zuletzt lebte er wieder in Europa, nach Berlin und Frankreich in Spanien. Lange schien Schadeberg wenig beachtet; just aber werden seine Fotos in Spanien und in Paris ausgestellt, zuvor in Berlin, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Würzburg und derzeit in Köln. Ein umfassender Werkkatalog gewann mehrere Preise. Er und seine Frau, die Kunsthistorikerin Claudia Schadeberg, veröffentlichten mehr als 30 Fotobände und produzierten Dokumentarfilme wie das bewegende Have you seen Drum recently. Sie hütet nun eines der wertvollsten Bildarchive Südafrikanischer Geschichte. Dabei fand der Sohn einer Schauspielerin zur Fotografie fast zufällig über „seine“ Musik, den Jazz.

In Berlin hatte der Fotojournalist die Grundbegriffe seines Fachs erlernt. Er nahm als Zwölfjähriger sein erstes Foto in einem Luftschutzkeller gen Ende des Zweiten Weltkriegs auf. Dort hörte er Musik, trank sein erstes Bier. Öfters kam er auf diese Aufbruchstimmung inmitten der Bedrängnis zurück. Trotz aller Freude am Leben übersah Schadeberg Unterdrückung und Elend nie – Zwangsvertreibungen, die Gewalt von außen und innen, Armut und Bandenkriege. Ende August starb Jürgen Schadeberg nach langer Krankheit im Alter von 89 Jahren in seiner neuen Heimat nahe Valencia. Mit der Deutschen Afrika Stiftung war er lange verbunden. So halfen deren Präsidentin Uschi Eid, der damalige Geschäftsführer Jürgen Langen (und der Autor), dass ihm die durch bürokratische Nachlässigkeit verlorene deutsche Staatsangehörigkeit wieder verliehen wurde – dem Deutschen, der als Fotograf und Wegweiser zur Legende wurde. Wohl nur wenige können von sich sagen, dass sie mit ihrem Leben zur Hauptgestalt eines erfolgreichen Spielfilms, Drum, wurden.

25.9.2020, Robert von Lucius
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