Pressespiegel KW 40/2025: Aufbegehren einer Generation
Pressespiegel 26.9.2025 bis 2.10.2025

Madagaskars Präsident Rajoelina entlässt Regierung

 

Am Montag verkündete Madagaskars Präsident Andry Rajoelina die Absetzung der Regierung. Nachdem er bereits am Freitag den Energieminister entlassen hatte, reagierte der Präsident damit erneut auf die weiter eskalierenden Proteste, die sich seit einer Woche in der Hauptstadt Antananarivo und mehreren anderen Städten fortsetzen. Auslöser für diese waren anhaltende Strom- und Wasserausfälle, die teilweise bis zu 12 Stunden am Tag andauerten.

In einer Fernsehansprache entschuldigte sich Rajoelina dafür, dass die Regierungsmitglieder nicht die Erwartungen des Volkes erfüllt haben, versprach einen Kurswechsel der öffentlichen Verwaltung und kündigte mehr Dialog mit der Bevölkerung, insbesondere mit jungen Menschen, an, wodurch sie sich an der Entwicklung ihres Landes beteiligen können sollen. Gleichzeitig lud der Präsident alle ein, die das Land voranbringen wollen und qualifiziert seien, sich innerhalb der gegebenen 3-Tages-Frist für das Amt des Premierministers zu bewerben. Bis zur Ernennung der neuen Regierung bleiben alle bisherigen Mitglieder interimsmäßig im Amt.

Den Demonstrierenden geht dies nicht weit genug, die Proteste halten weiterhin an. Sie werden maßgeblich von jungen Menschen getragen, die nicht nur die unzureichende Versorgung kritisieren, sondern auch Korruption und Missmanagement der Politik. Ein Zusammenschluss junger Aktivistinnen und Aktivisten, der sich „Gen Z“ nennt, fordert nach der Absetzung der Regierung weiterhin den Rücktritt des Präsidenten. Es werden zudem Forderungen nach der Auflösung des Senats, der Wahlkommission und des Obersten Gerichts laut. Die Bewegung mobilisiert überwiegend über soziale Medien und ist stark von anderen jugendgeführten Protesten in Ländern wie Nepal, Indonesien und Kenia inspiriert. Die Opposition hat sich den Forderungen nach dem Rücktritt des Präsidenten ebenfalls angeschlossen und kündigte an, in keiner Regierung mitzuarbeiten, solange Rajoelina an der Spitze des Landes stehe. Rajoelina selbst schloss seinen Rücktritt in der Fernsehansprache jedoch bereits kategorisch aus.

Im Zuge der Demonstrationen kam es zu schweren Ausschreitungen. Laut des Menschenrechtsbüros der Vereinten Nationen (UN) seien bisher rund 100 Menschen bei den Protesten verletzt worden und 22 Menschen gestorben, teilweise durch den Einsatz von staatlichen Sicherheitskräften bei Demonstrationen, jedoch auch Unbeteiligte, die Opfer von Plünderungen und Bandengewalt im Schatten der Proteste wurden. Die Regierung weist die Todesfälle als nicht belegt zurück. Die UN-Organisation forderte die madagassische Polizei dennoch dazu auf, auf unverhältnismäßige Gewalt zu verzichten. Auch Vertreterinnen und Vertreter der Afrikanischen Union sowie der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) äußerten ihre Besorgnis über die Lage und riefen zu Dialog und Deeskalation auf.

Hintergrund der Eskalation ist eine tiefgreifende strukturelle Krise: Der staatliche Strom- und Wasserversorger Jirama arbeitet mit veralteter Infrastruktur und gilt als ineffizient. Die derzeit schwerste Dürre seit vier Jahrzehnten beeinträchtigt zusätzlich die Wasserkraftproduktion, die einen Großteil der Stromversorgung abdeckt. Die daraus resultierenden Stromabschaltungen betreffen nicht nur private Haushalte und die Wirtschaft, sondern auch die erst im vergangenen Jahr fertiggestellte, für den öffentlichen Nahverkehr gedachte Seilbahn in der Hauptstadt.

Seit der Unabhängigkeit 1960 kam es wiederholt zu Massenprotesten und politischen Umstürzen, darunter 2009, als Rajoelina erstmals durch einen Aufstand an die Macht gelangte. Seit seiner umstrittenen Wiederwahl 2023 (Pressespiegel KW 41/2023) sieht er sich zunehmender Kritik ausgesetzt. Beobachterinnen und Beobachter sprechen nun von der schwersten Herausforderung für seine Autorität und der größten Protestwelle seit Jahren.

 

 

Eskalierende Proteste in Marokko

 

Am späten Mittwochabend kam es auch in Marokko bei andauernden Demonstrationen zu tödlichen Auseinandersetzungen. Laut staatlichen Medien fielen dabei zwei Menschen Schussverletzungen zum Opfer, nachdem die Polizei das Feuer auf eine Gruppe von Personen eröffnete, die versucht hatten, eine Polizeistation in Lqliâa in der Nähe der Küstenstadt Agadir zu stürmen. Zuvor soll die mit Messern bewaffnete Gruppe in eine Einrichtung der Sicherheitskräfte eingedrungen sein und sie in Brand gesetzt haben. Die Vorkommnisse ereigneten sich vor dem Hintergrund andauernder Proteste, zu denen es seit Samstag in zahlreichen Städten des Landes gekommen ist. Nach dem Vorbild ähnlicher, jüngst maßgeblich durch die Generation Z geführter Proteste in Ländern wie Nepal und Madagaskar koordinieren auch in Marokko junge Menschen die Protestaktionen, die sich hier insbesondere gegen mangelnde öffentliche Versorgung in kritischen Bereichen wie Bildung und Gesundheit, steigende Jugendarbeitslosigkeit sowie die Ausgabenpolitik der Regierung richten.

Als Auslöser der Protestwelle gilt ein Skandal in einem öffentlichen Krankenhaus in Agadir, wo Anfang September acht Frauen während Kaiserschnitt-Operationen starben, was auf systemische Schwächen im gesamten marokkanischen Gesundheitssystem zurückgeführt wurde. Die Nationale Organisation für Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung warnte gar vor einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems des Landes und verwies dabei auf jahrzehntelange Misswirtschaft und falsche politische Prioritäten. Die Reaktion des zuständigen Gesundheitsministers Amine Tahraoui, der zwar u.a. den Krankenhausdirektor entließ, aber keine weitreichenden Reformen anging, wurde von vielen als unzureichend empfunden und so entwickelten sich die Proteste in Agadir zu einer breiteren, von der Jugend angeführten Protestbewegung.

Mobilisiert wird diese größtenteils online durch anonyme Gruppierungen, allen voran der Gen Z 212, deren Name sich aus der Abkürzung für Generation Z und der dreistelligen internationalen Telefonvorwahl Marokkos zusammensetzt und die sich insbesondere über die bei Videospielerinnen und Videospielern beliebte Kommunikations-App Discord koordiniert. Während die Urheber noch nicht identifiziert werden konnten, zählte der entsprechende Server bei Discord Mittwochnachmittag bereits 125.000 Mitglieder. Laut der Menschenrechtsorganisation L’Association Marocaine des Droits Humains (AMDH) setze sich die Bewegung vorwiegend aus jungen Menschen zwischen 18 und 22 Jahren zusammen, die an Universitäten oder Ingenieursschulen studieren. Die Proteste richten sich vor allem gegen die hohe Arbeitslosigkeit, die unter Jugendlichen in dem nordafrikanischen Land offiziell bei 35,8 Prozent liegt, sowie den schlechten Zustand von öffentlichen Schulen und Krankenhäusern. Gleichzeitig werden die Milliardenausgaben der Regierung für den Afrika-Cup 2025 und die FIFA-Weltmeisterschaft 2030, darunter 900 Mio. Euro für den Umbau von sechs Stadien und 470 Mio. Euro für den Bau eines Stadiums in Casablanca, kritisiert.

Während die Gen Z 212 ausdrücklich zu gewaltfreien Protesten aufrief und die ersten Demonstrationen auch friedlich verliefen, kam es vor den jüngsten Todesfällen bereits in mehreren Städten zu gewaltsamen Ausschreitungen und Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften. Im Internet veröffentlichte Videoaufnahmen zeigen mancherorts Vandalismus und Plünderungen. Aber auch die Gegenmaßnahmen der Sicherheitskräfte sorgten für Kritik von AMDH und weiteren Menschenrechtsorganisationen: Vielerorts wurden Menschenmengen mithilfe von Wasserwerfern zerstreut, mehr als 400 Personen wurden festgenommen. In Oujda wurde ein Polizeifahrzeug dabei gefilmt, wie es Demonstrierende überfuhr, wobei ein Mensch schwer verletzt wurde. Insgesamt wurden sowohl von Seiten der Polizei als auch der Demonstrierenden Verletzte gemeldet.

Beobachterinnen und Beobachtern zufolge handelt es sich um die größte Protestbewegung in Marokko seit Jahren. Noch vor den tödlichen Auseinandersetzungen am Mittwochabend sagte die Regierung unter Premierminister Aziz Akhannouch, der 2024 laut Forbes zu den 20 reichsten Menschen Afrikas zählte, zu, am heutigen Donnerstag zu möglichen Reformen im Bildungs- und Gesundheitssystem zu tagen. Ob dies angesichts der Gewalteskalation zur Beruhigung der Proteste beitragen wird, bleibt abzuwarten.

 

 

Und sonst?

 

Am Samstag wurde die simbabwische Schriftstellerin NoViolet Bulawayo mit dem Best of Caine Award ausgezeichnet. Dieser einmalige Ehrenpreis markiert das 25-jährige Bestehen des Caine Prize for African Writing, einem mit 10.000 Britischen Pfund dotierten Preis für englischsprachige Kurzgeschichten afrikanischer Autorinnen und Autoren, und würdigt das herausragendste Werk aus der Geschichte des Preises. Bulawayo erhielt die Ehrung für ihre Kurzgeschichte „Hitting Budapest“, die 2011 den Caine-Preis gewonnen hatte. Die Geschichte erzählt von einer Gruppe Kinder, die auf der Suche nach Nahrung durch eine verfallene Stadtlandschaft wandern, und beleuchtet Themen wie Armut, soziale Ungleichheit und Kindheitsträume. Die Autorin, die mit bürgerlichem Namen Elisabeth Tshele heißt, bezeichnete den damaligen Erfolg als Wendepunkt ihrer Karriere. Anschließend veröffentlichte sie die zwei weit gefeierten Romane „We Need New Names“, in dem „Hitting Budapest” das erste Kapitel stellt, und „Glory“. Die erneute Ehrung 14 Jahre später sei für sie ein Moment der Reflexion über ihren literarischen Werdegang, so die 43-Jährige. Die Jury, unter dem Vorsitz des Nobelpreisträgers Abdulrazak Gurnah, hob ihre kraftvolle Sprache und eindrucksvolle Erzählweise hervor.

 

 

Sondermeldung: Sudanesisches Freiwilligennetzwerk Emergency Response Rooms erhält Right Livelihood Award

 

Am Mittwoch wurde das Freiwilligennetzwerk Emergency Response Rooms (ERR) für seine Nothilfe für Menschen im Sudan mit dem auch als Alternativen Nobelpreis bekannten Right Livelihood Award geehrt. Trotz Lebensgefahr helfe das ERR dort, wo andere Organisationen nicht mehr hinkommen. Das 2019 aus dem Widerstand gegen den Langzeitherrscher Omar al-Baschir hervorgegangene Netzwerk setzt sich heute in dem nordostafrikanischen Land gegen eine der gravierendsten Hunger- und Vertreibungskrisen weltweit ein, die 2023 durch den Machtkampf zwischen Militär und den paramilitärischen RSF-Milizen und dem seither andauernden Bürgerkrieg entstand.

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