Fremde Federn: Uschi Eid und Horst Köhler
Eine Afrika-Politik für das 21. Jahrhundert, erschienen in der FAZ

Die Transformation im Zeichen von Klimakrise und Digitalisierung, der Zusammenhalt der EU und ihre Rolle in der heraufziehenden Großmachtkonkurrenz – die Aufgaben der neuen Bundesregierung sind enorm. Eine wird aber fast immer unterschätzt: unsere Beziehungen zu Afrika. Dabei wachsen dort Chancen wie Herausforderungen, die dringend Antworten verlangen.

Afrikas Bevölkerung hat sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts auf 1,3 Milliarden verfünffacht. Schon heute ist jeder Zweite dort jünger als 18 Jahre. In vielen der 54 Staaten des Kontinents finden demokratische Wahlen statt, entfalten sich bürgerschaftliches Engagement und eine freie Presse, fordert die Jugend ihr Recht auf Arbeit und Teilnahme am politischen Geschehen ein, nimmt wirtschaftliche Entwicklung durch Innovation Fahrt auf. China ist zum mächtigsten Investor aufgestiegen; auch andere bieten sich an. Afrika ist nicht langer auf Europa angewiesen, es hat die Wahl.

Die Formulierung einer Afrika-Politik für das 21. Jahrhundert gehört angesichts dessen zu den großen Fragen politischer Zukunftsgestaltung. Sie ist eine Aufgabe für heute, nicht für später. Verschieben hieße: Chancen vergeben, Probleme verschärfen. Denn viele Erfolge stehen auf der Kippe. Klimawandel und Pandemie werfen die oft erfolgreichen Entwicklungsanstrengungen in Afrika zurück. Konflikte drohen zu eskalieren. Und während in Europa Pandemie und Transformation mit Milliarden abgefedert werden und die Kühllager voll sind mit ungenutzten Impfdosen, sind nur sechs Prozent der afrikanischen Bevölkerung vollständig immunisiert. Der Impfstoff-Egoismus Europas hat Vertrauen gekostet – das haben uns afrikanische Gesprächspartner sehr deutlich vermittelt. Partnerschaftsrhetorik kann das nicht heilen, nur glaubwürdiges Handeln.

Beweisen sollte sich unser Handeln jetzt erstens in der raschen Weiterleitung ungenutzter Impfdosen und einem wirksamen europäischen Beitrag zum Aufbau einer Impfstoffproduktion. Zweitens brauchen viele afrikanische Länder dringend mehr finanziellen Spielraum zur Bewältigung der Folgen der Pandemie. Nach der Aussetzung des Schuldendienstes durch die G20 kann auch die Restrukturierung von Schulden notwendig sein. In jedem Fall sollte sich auch Deutschland an dem Vorhaben beteiligen, einen Teil seiner vom IWF neu vergebenen Sonderziehungsrechte an jene weiterzugeben, die sie dringend brauchen.

Jenseits der Pandemie sind zwei Themen fundamental für Entwicklung und Stabilität in Afrika: Arbeitsplatze und Sicherheit. Beide hangen eng miteinander zusammen; beide liegen im Argen.

Die Schaffung einer afrikanischen kontinentalen Freihandelszone ist eine strategische Weichenstellung für mehr Wirtschaftswachstum und Arbeitsplatze, die große Unterstützung verdient. Die deutsche Wirtschaft sollte nicht auf weitere Risiko-Absicherung warten, sondern neue Märkte mit unternehmerischer Kreativität voranbringen. Nicht zuletzt die deutsche Industrie hat alle Kompetenz, Afrika zu helfen, seine Rohstoffe selber zu verarbeiten und Arbeitsplatze zu schaffen. Ein Sonderbeauftragter für die Wirtschaftsbeziehungen mit Afrika konnte diesen Prozess kraftvoll unterstützen.

Gewalttätige Konflikte verhindern arbeitsplatzschaffende Investitionen. Armut und Perspektivlosigkeit heizen Konflikte an und zwingen Menschen, ihre Heimat zu verlassen. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen liegt auch im Interesse Europas. Die in den Ampel-Sondierungen angekündigte „Nationale Sicherheitsstrategie“ sollte deshalb auch Vorstellungen für die Überwindung der Konflikte in Afrika formulieren. Hauptziel muss Prävention sein. Deutschland sollte sich nicht länger wegducken, wenn in Absprache mit afrikanischen Partnern auch robuste Einsätze erforderlich sind. Militärisches wie ziviles Engagement sollte auf die wichtigsten Konfliktherde konzentriert, ausreichend ausgestattet und vom Anspruch getrieben sein, einen echten Beitrag zur Stabilisierung zu leisten. Die Zeiten halbherzigen Engagements sollten ein Ende finden.

Darüber hinaus tut Europa gut daran, Afrika als Partner zu gewinnen. Die Stabilisierung des Weltklimas, der Schutz der Artenvielfalt, die Sicherung des Friedens sind Probleme, die gemeinsam angepackt gehören. Beide Kontinente werden nur durch Allianzen global gestaltungsfähig bleiben. Die Frage, ob die EU und mit ihr Deutschland weltpolitikfähig ist, entscheidet sich jedenfalls nicht zuletzt in Afrika. Dabei verlangt eine neue Philosophie der Zusammenarbeit einen viel differenzierteren Blick und viel mehr Wissen über die Dynamiken in Afrika, sie verlangt personelle und politische Investitionen in Austausch, Stipendien und nicht zuletzt die überfällige Schaffung eines Instituts für angewandte Afrika-Forschung in Berlin.

Der AU-EU-Gipfel im Februar 2022 ist eine Chance für die neue Bundesregierung, neue Akzente zu setzen. Afrika-Politik für das 21. Jahrhundert sollte Afrika nicht als Kontinent begreifen, für dessen Probleme es fürsorglich Lösungen zu ersinnen gilt, sondern als eigenständigen Akteur und Partner, dessen Potentiale auch zur Lösung unserer Probleme beitragen können.

8.11.2021, Uschi Eid und Horst Köhler
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