11.10.2022, 8:30 - 9:30 Uhr, Berlin
DAS Thema aktuell: „Ernährungssicherheit in Krisenzeiten – Auf der Suche nach nachhaltigen Lösungen“
mit Bundesminister Cem Özdemir

Unterbrochene Lieferketten und steigende Lebensmittelpreise führen im Zuge des Ukrainekriegs weltweit zu einer weiteren Verknappung an Lebensmitteln, so dass die Angst vor einer globalen Hungerkrise wächst. Auch die ersten erfolgreichen Transporte von Weizen aus der Ukraine bringen bisher wenig Entspannung auf den Märkten. Die Unzuverlässigkeit der Importe bedroht die Ernährungssicherheit vieler Länder – insbesondere auch auf dem afrikanischen Kontinent, dessen eigene Landwirtschaft darüber hinaus vielerorts mit den Auswirkungen des Klimawandels zu kämpfen hat. So erlebt bspw. das Horn von Afrika derzeit klimabedingt die schlimmste Dürre in 40 Jahren, allein hier sind laut Schätzungen der Intergovernmental Authority on Development (IGAD) 50 Millionen Menschen von einer akuten Ernährungskrise betroffen.

Vor diesem Hintergrund lud die Deutsche Afrika Stiftung Cem Özdemir MdB, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, zum Gespräch ein. Schon bei der Agrarministerkonferenz der G7 im Mai 2022 erkannte Bundesminister Özdemir die Dringlichkeit des Themas der globalen Ernährungssicherheit sowie der sozialen Verantwortung Deutschlands und positionierte sich klar für eine gemeinschaftliche Lösung der agrarwirtschaftlichen Probleme und der Verankerung des Menschenrechts auf Nahrung in allen Politikprozessen. Im Rahmen des G7-Gipfels im Juni sagten die führenden Industrienationen zudem weitere 4,5 Mrd. US-Dollar für die Sicherstellung der globalen Ernährungssicherung zu.

Doch was genau ist seither passiert? Wie können angesichts der aktuellen Lage nachhaltige Ernährungssysteme und globale Lieferketten geschaffen werden, um die Welternährung langfristig zu sichern? Welche Maßnahmen hat das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter der Führung von Bundesminister Özdemir bisher ergriffen? Wie sieht hierbei insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und seinen afrikanischen Partnern im landwirtschaftlichen Sektor aus?

Diese und weitere Fragen standen im Zentrum des Zwiegesprächs zwischen Bundesminister Cem Özdemir und der Präsidentin der Deutschen Afrika Stiftung, Dr. Uschi Eid.

 

Zu dem Thema erschien im Nachgang ein Artikel mit gleichnamigen Titel in dem Magazin „Senate“ des Senats der Wirtschaft, Ausgabe 3/2022, Dezember 2022:

Unterbrochene Lieferketten und steigende Lebensmittelpreise führen im Zuge des Ukrainekriegs weltweit zu einer weiteren Verknappung an Lebensmitteln, so dass die Angst vor einer globalen Hungerkrise wächst. Die Unzuverlässigkeit der Importe bedroht die Ernährungssicherheit vieler Länder – insbesondere auch auf dem afrikanischen Kontinent. Laut des letzten Berichts „ Afrika – Regionaler Überblick über Ernährungssicherheit und Ernährung 2021”, herausgegeben von der Kommission der Afrikanischen Union, der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) und der UN-Wirtschaftskommission für Afrika, litten 2020 281,6 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner unter Hunger. Dies sind 46,3 Millionen Menschen mehr als noch 2019.  Dabei ist die Verteilung über den Kontinent sehr unterschiedlich, 44% der unterernährten Menschen leben im Osten des Kontinents, im südlichen Afrika sind es hingegen nur 2,4%. Zu den akuten Herausforderungen durch den andauernden Krieg, kommen die immer stärker zu spürenden Auswirkungen des Klimawandels, mit denen die lokale Landwirtschaft zu kämpfen hat. So erlebt bspw. das Horn von Afrika derzeit klimabedingt die schlimmste Dürre in 40 Jahren, allein hier sind laut Schätzungen der Intergovernmental Authority on Development (IGAD) 50 Millionen Menschen von einer akuten Ernährungskrise betroffen.

Die sich drastisch verschlechternde Situation der Ernährungssicherheit im Angesicht einer multiplen Krisenlage, war Anlass für die Deutsche Afrika Stiftung den Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir MdB, zum Gespräch einzuladen. Dieses Zwiegespräch am 11. Oktober 2022 mit der Präsidentin der Deutschen Afrika Stiftung, Dr. Uschi Eid, war zeitgleich der Auftakt zu der neuen Veranstaltungsreihe „DAS Thema aktuell“, einem Online-Frühstücksformat, welches in der Zukunft zu gegebenen Anlässen stattfinden wird.

Seit Beginn seiner Amtszeit im Dezember 2021 macht Bundesminister Cem Özdemir deutlich, dass das Recht auf angemessene Nahrung ein Herzensthema für ihn ist. Die Erfüllung dieses Menschenrechts geht Hand in Hand mit der Erreichung der Ziele der Agenda 2030. Hier steht für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) besonders das zweite Nachhaltigkeitsziel (SDG 2) im Fokus, das die Beendigung des Hungers sowie die Förderung einer besseren Ernährung und einer nachhaltigen Landwirtschaft umfasst. Die aktuellen Krisen in der Welt, darunter der bereits erwähnte Ukrainekrieg, die Klimakrise, der Verlust der Artenvielfalt, aber auch noch die Folgen der Corona-Pandemie, stellen enorme Hürden für die Erreichung dieses Zieles dar.

Verständlicherweise gingen die Anstrengungen des Bundesministers im Jahr 2022 zunächst in notwendige und wichtige Sofortmaßnahmen wie die Schaffung neuer Exportwege für Lebensmittel aus der Ukraine, vor allem auch nach Afrika. Doch in den Transportrouten über Land und Schiene, für die sich das Ministerium mit Erfolg sehr stark engagiert hat, können nur einen kurzfristigen Nutzen bringen. Die ersten erfolgreichen Lieferungen aus der Ukraine, wobei es sich vorrangig um Weizen handelte, auch nach Ostafrika, brachten nur wenig Entspannung und Preissenkungen auf den Märkten. Um globale Ernährungssicherheit zu schaffen, braucht es Verlässlichkeit. Dies schafft man zum einen über permanente diverse Exportkorridore, zum anderen braucht es aber allem voran nachhaltige und resiliente Agrar- und Ernährungssysteme. Für die Etablierung solcher Systeme setzt die Bundesregierung Deutschlands nicht nur auf bilaterale Kooperationen, sondern verfolgt verstärkt multinationale Ansätze.

Im Mai 2022, bei der Agrarministerkonferenz der G7, die es in diesem Format seit langer Zeit nicht mehr gegeben hat und von ihm wieder einberufen wurde, positionierte sich Bundesminister Özdemir klar für eine gemeinschaftliche Lösung der agrarwirtschaftlichen Herausforderungen. In dem Kommuniqué der G7-Agrarministerinnen und -minister ist ausführlich nachzulesen: Lebensmittelexporte sind als Sofortmaßnahme zur Verbesserung der Ernährungssituation richtig und wichtig, sie sind jedoch nicht nachhaltig. Für eine globale Ernährungssicherheit braucht es eine Transformation der Landwirtschaftssysteme in Ländern, die vom Hunger betroffen sind. Da dies häufig Länder sind, die besonders von der Klimaerwärmung betroffen sind, diskutierten die G7-Agrarministerinnen und -minister sowohl Maßnahmen zur Verminderung des Klimawandels als auch solche zur Anpassung der Landwirtschaft an die veränderten Bedingungen. „Der Kampf gegen die Klimakrise ist ein Kampf für die Ernährungssicherheit“, sagte Bundesminister Cem Özdemir auch in dem Gespräch mit Uschi Eid. Hier soll sich zum Beispiel auf den Anbau von klimaangepassten, sprich traditionell lokal vorkommenden Pflanzen besonnen werden. Neben technischen Aspekten wie Zugang zu erschwinglichem Saatgut und Düngemitteln oder dem Aufbau einer Infrastruktur für effizientere Liefer- und Kühlketten für die Verminderung von Nach-Ernte-Verlusten stehen derweil auch soziale Aspekte im Fokus. Die Akteure vor Ort und deren Bedürfnisse müssen stärker berücksichtigt und beteiligt werden, um diesen Wandel nachhaltig zu gestalten. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern müssen gestärkt werden, der Rolle der Frau sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Gesellschaft mehr Rechnung getragen werden. Politische Faktoren wie Good Governance und Korruptionsbekämpfung müssen dabei natürlich auch berücksichtigt werden.

Diese bereits verkürzte Auswahl an Faktoren und Einflussbereichen zeigt, dass eine globale Ernährungssicherheit nicht allein von einem Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft erfolgreich etabliert werden kann. Es braucht eine Verankerung des Menschenrechts auf Nahrung in allen Politikbereichen. In Deutschland gibt es beispielsweise inzwischen eine ressortübergreifende Task Force, der nicht nur das BMEL angehört, sondern beispielweise auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und das Bundesfinanzministerium. Zudem hat die Ministerin des BMZ, Svenja Schulze, zusammen mit dem Weltbank-Präsidenten David Malpass im Rahmen der G7-Konferenz vorgeschlagen ein Bündnis für globale Ernährungssicherheit zu gründen. Neben der Weltbank, den G7-Staaten und der EU-Kommission zählen unter anderem die UN Global Crisis Response Group, die Afrikanische Union, das UN-Welternährungsprogramm und der Internationale Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) zu den Unterstützern.

Die Afrikanische Union (AU) selbst hatte 2022 zum Jahr der Ernährung erklärt unter dem Motto „Strengthening Resilience in Nutrition and Food Security on the African Continent“ (Stärkung der Anpassungsfähigkeit im Bereich Ernährung und Ernährungssicherheit auf dem afrikanischen Kontinent). Es ist daher positiv festzuhalten, dass die AU als ein Sprachrohr der Interessen der verschiedenen afrikanischen Länder verstärkt in die Strategien zur Erreichung einer globalen Ernährungssicherheit einbezogen wird. Auch das BMEL will diese Zusammenarbeit stärken, nachdem der afrikanische Kontinent bereits der regionale Schwerpunkt der bilateralen Kooperation ist. Man sehe in der dortigen Landwirtschaft das größte Entwicklungspotential und möchte für den Aufbau eines klima- und krisenresilienten Agrarsystems mit finanziellen Mitteln und Know How an der Seite der dortigen Partner stehen.

Aus Sicht der Deutschen Afrika Stiftung und ihrer Präsidentin Dr. Uschi Eid ist hierfür auch eine starke wissenschaftliche Kooperation zwischen den afrikanischen Ländern und Deutschland nötig. Es ist zudem unerlässlich, den afrikanischen Partnerinnen und Partnern zuzuhören und gemeinsam Lösungsstrategien zu entwickeln. In der Vergangenheit sind zu oft, wenngleich in bester Absicht, Konzepte entwickelt worden, die den Partnern nur noch zur Anpassung von Feinheiten oder gar nur noch zur Zustimmung vorgelegt wurden. Dieses Vorgehen findet nur in den seltensten Fällen Akzeptanz – und ist somit letztendlich auch nicht nachhaltig.

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