Pressespiegel 47/2024: Aufbrechen alter Machtstrukturen?
Pressespiegel 15.11.2024 bis 22.11.2024

G20-Gipfel in Rio de Janeiro

 

Am Dienstag endete das zweitägige Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der G20 in Rio de Janeiro, Brasilien. Unter Brasiliens Präsidentschaft und unter dem Motto “Aufbau einer gerechten Welt und eines nachhaltigen Planeten” nahm zum ersten Mal auch die Afrikanische Union (AU) als Mitglied teil, nachdem diese beim letzten Gipfeltreffen 2023 in die Gruppe aufgenommen worden war. Schwerpunkte von Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bildeten die Themenkomplexe soziale Inklusion und Bekämpfung von Hunger und Armut, Reform der Institutionen der globalen Ordnungspolitik sowie nachhaltige Entwicklung und Energiewende – Themen, die es auch in die Abschlusserklärung des Gipfels schafften. Bereits am Montag wurde die sogenannte Globale Allianz gegen Hunger und Armut ins Leben gerufen. An der Allianz sind neben den G20 Staaten – mit Ausnahme von Argentinien – insgesamt 81 Staaten sowie internationale Organisationen und Institutionen beteiligt. Darunter auch die Neue Entwicklungsbank (NDB) der BRICS und die Inter-Amerikanische Entwicklungsbank (IDB), die 25 Milliarden US-Dollar für die Initiative bereitstellen wird. Konkret sieht die Allianz Programme wie Bargeldtransfers, Schulmahlzeiten mit Lebensmitteln aus lokalem Anbau sowie besseren Zugang zu Mikrofinanzierungen, zum formellen Finanzsystem und zur sozialen Sicherung vor – angelehnt an Brasiliens Armuts- und Hungerbekämpfungsmaßnahmen während Lulas erster Amtszeit. Ihren Sitz wird die Allianz beim Welternährungsprogramm (FIA) in Rom haben, den Vorsitz sollen Vertreterinnen und Vertreter aus Brasilien, China, Deutschland, Großbritannien, Norwegen, Südafrika und Bangladesch sowie internationaler Organisationen übernehmen. Lula erntete viel Lob für die Allianz, insbesondere unter Nichtregierungsorganisationen. Auch Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa bekräftigte, dass Südafrika Brasilien bei der Bekämpfung voll und ganz unterstütze und das Thema Ernährungssicherheit zu einer Priorität während seiner G20-Präsidentschaft in 2025 machen werde. Ebenfalls große Unterstützung von Seiten Südafrikas und der AU fanden die Reformforderungen für den UN-Sicherheitsrat. Dieser solle “repräsentativer, inklusiver, effizienter, effektiver, demokratischer und rechenschaftspflichtiger” werden, um eine bessere Vertretung der bislang unterrepräsentierten oder nicht vertretenen Regionen innerhalb Afrikas, Asien-Pazifik, Lateinamerika und der Karibik zu gewährleisten.

Lulas ambitioniertes Vorhaben, sich auf die Einführung einer globalen Miliardärsteuer in Höhe von 2% zu einigen, scheiterte hingegen. So wurde der Vorschlag, der Schätzungen zufolge jährlich zu Einnahmen von rund 250 Milliarden US-Dollar führen würde und der unter anderem von Frankreich, Spanien und Südafrika unterstützt wurde, bereits beim G20-Treffen der Finanzministerinnen und -minister im Juli abgelehnt. So heißt es im Abschlussdokument lediglich, man werde eng zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass ultrareiche Personen effektiv besteuert werden. Dennoch ist es das erste Mal, dass die Frage nach einer Miliardärsteuer auf der G20-Bühne diskutiert wird. Auch im Bereich Klimaschutz konnte beim Gipfeltreffen der führenden Industrie- und Schwellenländer lediglich ein Minimalkonsens erreicht werden. Zwar erkannten die Staats- und Regierungschefs der G20 den Bedarf an Klimafinanzierung in Billionenhöhe (US-Dollar) für einkommensschwache Länder an – die Frage, wie dieser Bedarf gedeckt werden soll, blieb jedoch offen. Darüber hinaus findet auch die Notwendigkeit der Abkehr von fossilen Brennstoffen keine Erwähnung. So bekennen sich die G20 in ihrer Abschlusserklärung ausschließlich zu den Pariser Klimazielen und verweisen auf die Beschlüsse der heute endenden COP29 in Baku, Aserbaidschan.

Ebenfalls konnte bei den Themen Ukraine und Nahost nur ein Minimalkonsens gefunden werden. So gab es keine Mehrheit für die Verurteilung des russischen Angriffskrieges in der Ukraine und im Abschlussdokument wurde lediglich auf “das menschliche Leid und die negativen Auswirkungen des Krieges in Bezug auf die Nahrungs- und Energiesicherheit, Lieferketten, makrofinanzielle Stabilität, Inflation und Wachstum” verwiesen. Mit Bezug auf den Nahostkonflikt heißt es in der Abschlusserklärung, man sei besorgt über die humanitäre Lage im Gazastreifen und die Eskalation im Libanon und fordere die Ausweitung von humanitärer Hilfe und dem Schutz der Zivilbevölkerung. Darüber hinaus wird das Recht der Palästinenserinnen und Palestinänser auf Selbstbestimmung bekräftigt und betont, man werde sich “unerschütterlich” für eine Zweistaatenlösung einsetzen.

Neben geopolitischen Spannungen wurde der G20-Gipfel vor allem von der Wahl Donald Trumps zum nächsten US-Präsidenten überschattet. Es ist zu erwarten, dass die USA unter Trump unter anderem aus dem Klimaabkommen aussteigen und Strafzölle gegen andere Staaten verhängen werden, darunter einen Zoll von “60 Prozent auf alles aus China sowie Zölle von 10 bis 20 Prozent auf alle anderen Importe”, was auch die Bedeutung der Beschlüsse des G20-Gipfels einschränkt. Beim offiziellen Abschluss des Gipfeltreffens würdigte Lula die historischen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Werte, die den afrikanischen Kontinent und Lateinamerika vereinen und übergab die G20-Präsidentschaft an Südafrika. Der einjährige Vorsitz wird offiziell am 1. Dezember beginnen.

 

 

Gabun stimmt neuer Verfassung zu

 

Am vergangenen Samstag hat die Bevölkerung Gabuns in einem Referendum eine neue Verfassung angenommen. Wie der gabunische Innenminister Hermann Immongault mitteilte, stimmten nach vorläufigen Ergebnissen 91,8 % der Wählerinnen und Wähler für den Verfassungsentwurf. Die Wahlbeteiligung betrug 53,54 %, bei insgesamt 868.115 für die Wahl registrierten Personen. Die endgültigen Ergebnisse sollen in den kommenden Wochen vom Verfassungsgericht verkündet werden. Die neue Verfassung sieht einen Umbau des parlamentarischen Systems in ein präsidentielles vor, in dem der Posten des Premierministers abgeschafft wird und der Präsident die alleinige Exekutivgewalt ausübt. Somit ist das Kabinett nicht mehr dem Parlament, sondern dem Präsidenten gegenüber rechenschaftspflichtig. Unterstützt werden soll dieser künftig von zwei Vizepräsidenten, von denen einer die Regierungsarbeit koordiniert.

Die Amtszeit des Präsidenten wird auf sieben Jahre mit maximal einer Wiederwahl begrenzt – aktuell beträgt eine Amtszeit nur fünf Jahre, allerdings ohne Amtszeitbegrenzung. Dieser Teil der Verfassung ist unveränderbar. Darüber hinaus dürfen Angehörige und Nachkommen des Staatsoberhauptes keine Nachfolge anstreben. Um für das Amt des Präsidenten kandidieren zu dürfen, muss die Person mindestens ein in Gabun geborenes Elternteil und eine gabunische Ehepartnerin oder einen gabunischen Ehepartner haben. Damit sind sowohl der frühere Präsident Ali Bongo, der die Präsidentschaft von seinem Vater übernommen hatte und mit einer Französin verheiratet ist, als auch seine Kinder von einer künftigen Präsidentschaftskandidatur ausgeschlossen. Weitere Änderungen betreffen das Wahlrecht und die Ehegesetzgebung. So soll das allgemeine Direktwahlrecht eingeführt und die Ehe verbindlich als Verbindung zwischen zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts definiert werden.

Kritik an der neuen Verfassung kommt aus der Opposition und von Gewerkschaften. Sie kritisieren die Zentralisierung der Exekutivmacht beim Präsidenten und die Abschaffung des Misstrauensvotums des Parlaments. Nach der neuen Verfassung kann der Präsident das Parlament einmalig nach den ersten 24 Monaten seiner Amtszeit auflösen. Eine Anklage wegen Hochverrats oder Amtsmissbrauchs ist nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament möglich. Außerdem übernimmt der Präsident die Leitung des Obersten Justizrats.

Die Verabschiedung der neuen Verfassung ist Teil eines umfassenden politischen Transformationsprozesses, der auf den Sturz der Regierung von Präsident Ali Bongo im August 2023 zurückgeht (Pressespiegel KW 35/2024). Bongo hatte das Land seit 2009 regiert, nachdem zuvor sein Vater Omar Bongo 41 Jahre lang an der Macht gewesen war. Der Putsch, angeführt von führenden Militäroffizieren unter dem jetzigen Übergangspräsidenten und Cousin Bongos General Brice Oligui Nguema, wurde als Reaktion auf eine schwere institutionelle, politische, wirtschaftliche und soziale Krise gerechtfertigt. Der Verfassungsentwurf basiert auf den Empfehlungen des Nationalen Dialogs, der vom 2. – 30. April dieses Jahres stattfand, an dem 580 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Politik, Militär und Zivilgesellschaft teilnahmen. Während die Übergangsregierung betonte, durch die Teilnahme von Repräsentantinnen und Repräsentanten aus verschiedenen politischen Parteien, militärischen Gremien, Kirchengemeinden und zivilgesellschaftlichen Organisationen die Inklusivität der Konstitutionalisierung gewährleistet zu haben, warfen Oppositionsgruppen und zivilgesellschaftliche Organisationen Nguema vor, zum Nationalen Dialog 100 hochrangige Militäroffiziere und etwa 250 Personen, die dem gestürzten Bongo-Regime treu ergeben waren, eingeladen zu haben, um so seine Macht zu stärken.

Mit der Annahme der Verfassung ist der Weg für Neuwahlen geebnet, die im August 2025 geplant sind und die den Übergang zu einer zivilen Regierung einleiten sollen. Die neue Verfassung schließt eine Kandidatur von Übergangspräsident Nguema nicht aus, der zwar versprochen hat, die Macht wieder in die Hände der Zivilbevölkerung zu legen, aber klare präsidiale Ambitionen zeigt.

 

 

Und sonst?

 

Der eritreisch-schwedische Journalist Dawit Isaak wurde am Dienstag in Stockholm mit dem schwedischen Edelstam-Preis ausgezeichnet. Damit würdigt die nach dem schwedischen Diplomaten Harald Edelstam benannte Stiftung den „außergewöhnlichen Mut“ im Einsatz für die Meinungsfreiheit des 60-Jährigen. Er war im Jahr 2001 in Eritrea festgenommen worden, nachdem seine Zeitung Setit zu demokratischen Reformen im Land aufgerufen hatte. Geboren in Eritrea, floh Dawit 1985 im Alter von 21 Jahren vor dem Äthiopia-Eritrea Konflikt nach Schweden, wo er später die Staatsbürgerschaft erlangte. Nach der Unabhängigkeit Eritreas kehrte er 1993 in sein Heimatland zurück, wo er die freie, unabhängige Tageszeitung Setit mitbegründete. Hier setzte er sich als Journalist unermüdlich für Wahrheit, Rechenschaftspflicht und eine freie Presse in Eritrea ein, bis er 2001 ohne Gerichtsverfahren verhaftet wurde. Neben Dawit wurden rund zwei Dutzend weitere Personen, darunter hochrangige Politikerinnen und Politiker sowie unabhängige Journalistinnen und Journalisten – die sogenannte G15-Gruppe – im Zuge einer umfassenden Repression der eritreischen Regierung festgenommen. Im Jahr 2005 wurde Dawit kurzzeitig freigelassen, aber noch am selben Tag erneut verhaftet. Seitdem hat die eritreische Regierung keine Informationen über seinen Aufenthaltsort oder seinen Gesundheitszustand veröffentlicht. Seine Tochter Bethlehem, die die Auszeichnung stellvertretend in Stockholm entgegennahm, gab 2020 an, sie habe verlässliche Informationen, dass ihr Vater noch lebe. Der Edelstam-Preis wird seit 2012 alle zwei Jahre verliehen, um herausragende Beiträge und außergewöhnlichen Mut zu würdigen, für die eigenen Überzeugungen einzustehen und die Menschenrechte zu verteidigen.

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